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Genthin: Abbruch der Sonderstadtratssitzung – ist die Demokratie ohne Kommunalaufsicht gestorben?

Stadtgeschehen
  • Erstellt: 02.12.2020 / 08:08 Uhr von rp
In der vergangenen Woche sollte sich eigentlich, in einer einberufenden Sonderstadtratssitzung in Genthin, "der Nebel" rund um die Klageflut von Bürgermeister Matthias Günther (parteilos) gegen den Tourismusverein und der QSG- mbH für die Stadträte lichten. Doch es kam alles anderes:

Wie [wir berichteten], brach der Stadtratsvorsitzenden Gerd Mangelsdorf (CDU-Fraktion) die Sitzung eigenmächtig ab und handelte damit entgegen der Geschäftsordnung des Stadtrates. Wir wollten zum Verlauf der Sonderstadtratsitzung die Meinung des Bürgermeisters und der einzelnen Fraktionen wissen und haben folgende Antworten erhalten:

Der Stadtrat Udo Krause (WG-SPAL) ist schockiert und sieht nach seiner Aussage die Auflösung der Situation, um den Streit zwischen der Stadt Genthin und dem Tourismusverein, durch den Abbruch der Sitzung verhindert. Er meint im Detail:

Meetingpoint JL: Hat der Stadtratsvorsitzende Gerd Mangelsdorf richtig gehandelt?

Udo Krause:Nein, unserer Meinung nach hat der Stadtratsvorsitzende Gerd Mangelsdorf nicht richtig gehandelt. Bürgermeister Günther hat einen Antrag zur Geschäftsordnung „Beendigung der Sitzung“ gestellt. Nach § 10 Abs. 2 Geschäftsordnung Stadtrat Genthin hat der Stadtrat über Geschäftsordnungsanträge abzustimmen. Ein Abbruch der Sitzung durch Mangelsdorf selbst, auf Antrag des Bürgermeisters ist somit in unseren Augen rechtswidrig,"

Meetingpoint JL: Wie haben Sie die Sondersitzung empfunden, welche Fehler wurden eventuell gemacht?

Udo Krause: „Unsere Fraktion war nach den Vorkommnissen durchaus schockiert. Wie auch bei vielen anderen Ratsmitgliedern kam der Abbruch der Sitzung sehr überraschend, wir blieben sitzen, um über den Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, dann beendete Mangelsdorf die Sitzung.

In meinen Augen wirkte die gesamte Sitzungsleitung einstudiert. Für alle Fälle waren Herr Mangelsdorf und Herr Günther vorbereitet, haben jedoch nicht mit dem Widerstand bei den Mitwirkungsverboten gerechnet. Die diskreditierenden Unterstellungen Günthers bezüglich des Stadtrates Heidel waren unerhört. Ich hatte das Gefühl, dass hier ein durchaus kritischer Stadtrat von der Abstimmung abgehalten werden sollte,"

Meetingpoint JL: Wie ist aus Ihrer Sicht jetzt weiter zu verfahren und wie wichtig erachten Sie die noch ungeklärten Tagesordnungspunkte der Sondersitzung?

Udo Krause: „Ich würde mir wünschen, dass bei der nächsten Stadtratssitzung ein Vertreter der Kommunalaufsicht teilnimmt und sämtliche Vorgänge der Sitzungsleitung überprüft. Dass durch Herrn Günther und Herrn Mangelsdorf eine Diskussion und Abstimmung zu diesen wichtigen Punkten, durch Abbruch der Sitzung, unterbunden wurde ist mehr als fragwürdig.

In der Beschlussvorlage TOP 6.2 sollte ein Antrag unserer Fraktion auf Rücknahme der Klage gegen den Tourismusverein abgestimmt werden.

Bei dem TOP 6.3 sollte der Bürgermeister für sein bisheriges Handeln, die Klagen gegen Frau Golz und Herrn Bothe sowie gegen den Tourismusverein, legitimiert werden und mit einer Erlaubnis durch den Rat für künftige Rechtsstreitigkeiten und anwaltliche Beratungen ausgestattet werden.

Für die bisherigen Klagen hat Herr Günther alleine in den Monaten April bis Juli eine Summe ausgegeben, die das Budget, welches ihm laut Hauptsatzung zur freien Verfügung steht, bereits über die Hälfte aufbraucht.

Diese Zahl wurde unserer Fraktion auf Anfrage nach sechs Wochen mitgeteilt. Die Anwaltskosten der Monate August bis November sind uns bis heute nicht bekannt und eine beantragte Akteneinsicht unserer Fraktion dazu wird seit über zwei Wochen hinausgezögert. Zu gerne hätten wir am Donnerstagabend die Höhe der gesamten Anwaltskosten erfahren.

Die Leitung der Ratssitzung durch Herrn Mangelsdorf war ein erneuter Tiefpunkt. Der Abbruch der Sitzung sowie der Versuch, gegen von Bürgern gewählte Stadträte ein Mitwirkungsverbot zu erreichen entspricht nicht unserem Demokratieverständnis. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse“, so Udo Krause (von der WG SPD/Althenplathow).

Lutz Nitz (DIE GRÜNEN) sieht die Situation etwas anders – Er wirft einigen Stadträten vor, nicht objektiv, sondern nach Sympathie und Antipathie zu handeln, um schlussendlich dem Bürgermeister eins auszuwischen. Er schrieb uns wie folgt:

"Eine funktionierende Demokratie hat klare Spielregeln und im Stadtrat sind diese Spielregeln in der Kommunalverfassung des Landes Sachsen-Anhalt festgelegt. Einige der Stadträte interpretieren scheinbar diese Regeln nach Sympathie und Antipathie. Ich finde keine andere Erklärung. Es funktioniert auch dann nicht, wenn man abstimmt und meint dadurch eine Mehrheit zu erreichen. Demokratie ist nicht eine Mehrheit zu haben, sondern ist auch, sich im gesetzlichen Rahmen zu bewegen. Alles andere ist Anarchie, wo jeder meint, machen zu können was er will. Jetzt ist der Punkt gekommen, dass unabhängige Gremien, außerhalb des Stadtrates, eine klare Aussage treffen müssen, in welchen Rahmen sich der einzelne Stadtrat zu bewegen hat. In Genthin ist eine fehleranprangernde Kritikkultur, meist in eine Richtung zu beobachten. Man kritisiert nicht, um zu verbessern, sondern um zu vernichten! Die Fehler werden in Genthin sehr schnell öffentlich gemacht, ohne auf eine Erklärung zu warten oder auch für die Erklärung, warum man es so und nicht anders gemacht hat.

Solch eine fehlerverzeihende Kultur braucht aber Empathie und Verständnis. Unser Stadtrat macht sich zum „Trump“, deshalb ein Zitat von Joe Biden:
"Wir mögen Gegner sein, aber wir sind keine Feinde. Wir müssen uns daran erinnern, dass der Sinn von Politik nicht unerbittlicher Krieg ist." Ganz offensichtlich ist der Stadtrat gespalten!! Das kann die Kommunalaufsicht nicht geraderücken, aber sie kann klar die Rechte und Pflichten jedem einzelnen Stadtrat aufzeigen.

Ganz subjektiv und persönlich, sehe ich die Abstimmung anders begründet. Ich deute das Abstimmungsverhalten so, dass es nicht unbedingt um das Mitwirkungsverbot von Herrn Bonitz geht, sondern dass es einfach darum geht, dem Bürgermeister eins auszuwischen.

Die Chancen, wieder im Stadtrat eins zu werden, sind gering. Wir schaffen es nur, wenn wir begreifen, dass es nicht darum geht, gegen wen ich kämpfe, es geht darum für was ich kämpfe“, so der Stadtrat Lutz Nitz (DIE GRÜNEN)

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Klaus Voth, sieht die Kommunalaufsicht in der Verantwortung und antwortete uns wie folgt:

Meetingpoint JL: Hat der Stadtratsvorsitzende Gerd Mangelsdorf richtig gehandelt?

Klaus Voth:Aus der Fragestellung geht nicht hervor welche Handlung des Stadtratsvorsitzenden konkret gemeint ist.

Ist es die Feststellung des Mitwirkungsverbotes für Stadträte und der praktizierte Umgang in der Sache oder ist es letztlich der Abbruch der Stadtratssitzung bis zur Bewertung durch die Kommunalaufsichtsbehörde mit der Begründung, dass Beschlüsse der Sitzung nichtig sein würden, wenn vom Mitwirkungsverbot Betroffene mitgewirkt haben?

Die kommunalrechtliche Bewertung kann kompetent die Kommunalaufsichtsbehörde Landkreis Jerichower Land vornehmen. Öffentliche Meinungsäußerungen vor dieser Prüfung, ob für oder wider, können nicht zur Verbesserung der Situation beitragen und nur weiter Zwietracht säen. Das Ergebnis der Prüfung bleibt abzuwarten.

Meetingpoint JL: Wie haben Sie die Sondersitzung empfunden, welche Fehler wurden eventuell gemacht?

Klaus Voth:Diese Sitzung kann einmal nicht auf der Positivseite der kommunalen Tätigkeiten unserer Stadt erwähnt werden.

Es ist bedauerlich, dass wiederum Ehrenamtliche viel Zeit in die Vorbereitung der Sitzung und in die Versammlung selbst, auch unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie, ohne jeden Nutzen für die Stadt verloren haben. Zukünftig sollte jeder Teilnehmer rechtzeitig prüfen ob er unter das Mitwirkungsverbot fällt und wenn ja, dieses auch dem Versammlungsleiter selbst anzeigen,

Meetingpoint JL: Wie ist aus Ihrer Sicht jetzt weiter zu verfahren und wie wichtig erachten Sie die noch ungeklärten Tagesordnungspunkte der Sondersitzung?

Klaus Voth:Über das weitere Verfahren ist entschieden. Demnach wird die Sitzung nach der Beurteilung des Sachverhaltes durch die Kommunalaufsichtsbehörde durchgeführt. Die Behandlung der noch offenen Tagesordnungspunkte ist nicht strittig. Der Stadtrat hat die vorliegende Tagesordnung beschlossen. Für die Beratung und Bescheidung, gerade der noch offenen Punkte durch den Stadtrat, wurde die Sondersitzung angesetzt,“ so Stadtrat Klaus Voth (CDU-Fraktion).

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Alexander Otto, sieht die Situation etwas anders und ist der Meinung, dass sein Parteikollege Mangelsdorf die Sitzung nicht hätte abbrechen dürfen. Genau sagte er:

Für viele Stadtratsmitglieder -mich eingeschlossen- war der Verlauf der jüngsten Sitzung mit Sicherheit beispiellos im negativen Sinne. Auseinandersetzungen wie am Donnerstag habe ich in meiner bisherigen Stadtratskarriere noch nicht erlebt.

Die abrupte Beendigung der Stadtratssitzung hätte gemäß Geschäftsordnung des Stadtrates als Antrag zur Geschäftsordnung abgestimmt werden müssen (vgl. § 10 (1)). Das Wissen darüber muss bei den zuständigen Akteuren vorhanden sein. Vermeidbare Fehler waren die Fragen um das Mitwirkungsverbot einzelner Mitglieder des Rates, welche beispielsweise durch eine im Vorfeld bestätigte Prüfung durch die Kommunalaufsicht hätten vermieden werden können. Zum anderen kamen aus den Reihen des Rates einzelne Zwischenrufe, die Bedenken gegen das verordnete Ende der Sitzung hatten.

Nun müssen solche Fragen fundiert dargelegt und geprüft werden, möchte man die dann doch streitbaren Vorlagen und Beschlüsse in der aktuellen Form wieder auf eine Tagesordnung bringen. Die Gesamtsituation rund um das Thema TV/QSG und die interne Zusammenarbeit kann in meinen Augen nur der Tourismusverein selbst in einer Gesamtmitgliederversammlung klären und beenden. Im Stadtrat Genthin hat dieses Thema nur begrenzt etwas zu suchen, es bremst aktuell andere wichtige Fragestellungen aus und schürt Unsicherheiten und Konflikte auf politischer Ebene“, so Alexander Otto (CDU Fraktion)


Gabriele Hermann (Fraktion DIE LINKE) positioniert sich für den schlussendlichen Verlauf der Sitzung und stärkt damit den Rücken des Stadtratsvorsitzenden Gerd Mangelsdorf. Sie antwortete wie folgt:

Meetingpoint JL: Hat der Stadtratsvorsitzende Gerd Mangelsdorf richtig gehandelt?

Gabriele Hermann:Der Stadtratsvorsitzende, Herr Mangelsdorf, hat meiner Meinung nach richtig gehandelt. Er hat sich an der Kommunalverfassung orientiert, um eine rechtlich sichere Stadtratssitzung zu gewährleisten,“ so Herrmann.

Meetingpoint JL: Wie haben Sie die Sondersitzung empfunden, welche Fehler wurden eventuell gemacht?

Gabriele Hermann:Die Stadtratssitzung am 26.11.20 hat ihr Ziel nicht erreicht. Ein Fehler ist, dass wir als Stadtrat noch nicht verstanden haben, dass wir mit unserer Wahl einen Auftrag erhalten haben. Unsere Arbeit zum Wohle der Bürger können wir nur auf dem Weg der konstruktiven Zusammenarbeit im Stadtrat und mit der Verwaltung erfüllen,“ antworte Herrmann.

Meetingpoint JL: Wie ist aus Ihrer Sicht jetzt weiter zu verfahren und wie wichtig erachten Sie die noch ungeklärten Tagesordnungspunkte der Sondersitzung?

Gabriele Hermann:Es sollte jetzt eine schnellstmögliche Verständigung zur weiteren Verfahrensweise erfolgen. Die anstehenden Probleme müssen einer Lösung zugeführt werden. Dazu ist eine eindeutige Positionierung des Stadtrates, frei von persönlichen Befindlichkeiten, notwendig“, so Grabriele Hermann (Fraktion DIE LINKE)


Bürgermeister bleibt bisher der Öffentlichkeit eine Stellungnahme schuldig!

Wir wollten eigentlich zum heutigen Tage auch Bürgermeister Matthias Günther die Chance geben, zu der vergangenen Stadtratssitzung Stellung zu beziehen und haben ihn wie die Räte, auch am vergangenen Freitag angefragt.
Bis heute haben wir noch keine Antwort erhalten.

Sollte sich der Bürgermeister dennoch äußern, werden wir selbstverständlich für euch auch seine Sicht auf die Vorgänge veröffentlichen.

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